donum vitae EINBLICK
Juni 2024

Editorial

Sehr geehrte Damen und Herren,

Freundschaft, Liebe, Sexualität. Es gibt wohl kaum ein Thema, das Jugendliche brennender interessiert. Klar, alle wissen längst Bescheid, kennen sich bestens aus! Wer aber mal näher und ernster nachfragt, der merkt schnell, dass durchaus noch viele Fragen offen sind. Diese Fragen und Probleme sprechen wir an – nicht nur, wenn es um Verhütung geht. 

donum vitae bietet ergänzend zu Elternhaus und Schule vielfältige sexualpädagogische Veranstaltungen für unterschiedliche Zielgruppen an. Besonders Kinder und Jugendliche brauchen auch außerhalb ihres Elternhauses Ansprechpartner*innen, die sie in ihrer Identitätsfindung begleiten und stärken können. Der Umgang mit Fragen zu
Freundschaft, Liebe, Partnerschaft und Sexualität ist deshalb ein wichtiger Teil der Arbeit von donum vitae. Unser Angebot ist offen für Jugend- und Elterngruppen, wir gestalten sexualpädagogische Veranstaltungen altersgerecht an Schulen, in Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen und beteiligen uns an sexualpädagogischen Projekten. Unser Anliegen ist es, Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen den Wert des Lebens deutlich zu machen, sie zu unterstützen, die eigenen Wünsche, Sehnsüchte und Hoffnungen zu formulieren, über Liebe, Beziehung, Sexualität, Partnerschaft, Treue und sexuelle Selbstbestimmung bzw. Orientierung zu sprechen. Unsere Veranstaltungen finden in einem geschützten Raum statt. Außerdem sind unsere Fachkräfte für individuelle Fragen ansprechbar und beantworten diese konkret, altersangemessen und kultursensibel.

In dieser Ausgabe des „donum vitae Einblick“ sprechen wir mit den donum vitae-Beraterinnen Ramona Täubert aus Erfurt und Christiane Fischer aus Bitburg über ihre Erfahrungen aus rund zwanzig Jahren sexualpädagogischer Arbeit und blicken auf aktuelle Themen, die bisherige Entwicklung und auch die Zukunft ihrer Arbeit.

Wir freuen uns über Ihr Interesse an unserer Arbeit und wünschen eine gute Lektüre!


Herzliche Grüße aus der Bundesgeschäftsstelle

Annika Koch
Referentin für Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation

„Die Frage für die jungen Menschen ist immer die: Bin ich richtig?“

Annika Koch im Gespräch mit Ramona Täubert aus Erfurt und Christiane Fischer aus Bitburg

Christiane Fischer ist Diplom Sozialarbeiterin/Sozialpädagogin und Sexualpädagogin. Sie arbeitet seit 2002 als Beraterin bei donum vitae in Bitburg. Ramona Täubert ist Diplom Sozialpädagogin und seit 2000 bei donum vitae in Erfurt in der Schwangerschaftsberatung tätig. Die beiden waren zusätzlich zur Schwangerschafts(konflikt)beratung von Beginn an auch in der Sexualpädagogik/sexuellen Bildung aktiv und bieten die sexualpädagogischen Veranstaltungen mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten an Grundschulen sowie weiterführenden Schulen und Berufsschulen an. Beide Beraterinnen waren vor ihrer Zeit bei donum vitae auch im Kinderschutz tätig und nutzen diese früheren Erfahrungen bis heute in ihren Angeboten.

Welche Themen behandelt Ihr in Euren Veranstaltungen und für welche Altersklassen sind Eure Angebote?

Christiane Fischer: „Ganz grundsätzlich drehen sich die Inhalte um die Themen Freundschaft, Liebe, Partnerschaft und Sexualität. In der Grundschule geht es erst einmal um allgemeine Aufklärung, körperliche Entwicklungen in der Pubertät und die Grundlagen zum Thema „Sexualität“ in altersgerechter Form. An den weiterführenden Schulen und den Berufsschulen sprechen wir mit den Jugendlichen und jungen Erwachsenen über Körperlichkeit und Fruchtbarkeit, die Wahrnehmung eigener Gefühle, den Umgang mit Sexualität und Verhütung, über Liebe, Verantwortung und Treue. Wir haben auch schon spezielle Ferienworkshops nur für Mädchen sowie Veranstaltungen an einem europäischen Berufsbildungswerk angeboten. Da ich mich von Beginn an auch auf sexualpädagogische Angebote für Menschen mit Lernbehinderungen spezialisiert habe und die Veranstaltungen ebenso in Leichter Sprache anbiete, bin ich regelmäßig in Förderschulen und Einrichtungen aus der Behindertenhilfe zu Gast. Auch mit Frauen mit Migrationshintergrund, die die deutsche Sprache noch nicht ausreichend beherrschen, arbeite ich in Projekten.“

Ramona Täubert: „Wir sind hier in Erfurt nicht an den Grundschulen aktiv, sondern bieten unsere Veranstaltungen an den weiterführenden Schulen ab der 7. Klasse sowie an Berufsschulen und in Kursen für FSJler*innen (FSJ: Freiwilliges Soziales Jahr, Anmerkung der Redaktion) an. Mit den älteren Jugendlichen und den jungen Erwachsenen diskutieren wir zum Beispiel auch über ethische Themen wie Fragen zur Pränataldiagnostik. Insgesamt haben sich im Laufe der Jahre einige Themenschwerpunkte verändert: Zu Beginn meiner Tätigkeit vor über zwanzig Jahren stand die Vermeidung von frühen Schwangerschaften im Fokus der sexualpädagogischen Arbeit. In meiner Zeit im Kinderschutz ging es natürlich häufig um den Schutz vor Missbrauch. Mittlerweile sprechen wir auch ganz allgemein über Liebe, Beziehung, Sexualität, Partnerschaft, Treue und sexuelle Selbstbestimmung bzw. Orientierung – zu all diesen Aspekten können wir in der sexuellen Bildung als externe Fachkräfte Information und Begleitung anbieten. Die Themen sind dabei so vielfältig wie die Fragen der jungen Menschen in unseren Veranstaltungen. Darüber hinaus besteht seit einiger Zeit eine gute Kooperation mit einer internationalen Hochschule, an der Sozialarbeiter*innen ausgebildet werden. Hier lehren wir sozusagen die nachrückende Fachkräfte-Generation unsere Themen, Inhalte und Methoden und tauschen uns eng mit ihnen aus. Das ist unglaublich spannend!“

Wie habt Ihr in den ersten Jahren Eurer Tätigkeit bei donum vitae auf das Angebot der sexualpädagogischen Veranstaltungen aufmerksam gemacht? Haben sich daraus langfristige Kooperationen entwickelt?

Christiane Fischer: „Zu Beginn habe ich unser Angebot vor allem im privaten Umfeld und über persönliche Kontakte bekannt gemacht. Mittlerweile sind die Veranstaltungen hier im Landkreis sehr gefragt und es erreichen uns so viele Anfragen, dass wir einige aus zeitlichen Gründen absagen müssen.“

Ramona Täubert: „Wir haben einige Schulen als feste Kooperationspartner, die wir jedes Jahr besuchen. Insgesamt ist die Nachfrage nach unseren Angeboten hier in der Großstadt auch aufgrund der Konkurrenz mit anderen Trägern zurückgegangen. Durch die Pandemie konnten wir in den vergangenen Jahren in den Schulen leider nicht präsent sein – da bemerken wir auch jetzt noch eine Veränderung in der Nachfrage an uns. Das müssen wir erst wieder etablieren.“

Welche Haltung erlebt Ihr bei den Lehrer* innen Euch und Eurer Arbeit gegenüber?

Christiane Fischer: „Viele Lehrer*innen sind dankbar, wenn eine Expertin von außen das Thema mit den Kindern und Jugendlichen behandelt. Das liegt zum Teil an zu geringer pädagogischer Erfahrung mit dem Themenfeld, zum Teil haben die Lehrkräfte aber auch ganz persönliche Berührungsängste.“

Ramona Täubert: „Vor zwanzig Jahren hatten wir sehr viele Anfragen von Schulen nach Angeboten zur sexuellen Bildung. Mittlerweile sind es weniger geworden. Ich vermute, dass dies auch mit einem Generationenwechsel in der Lehrerschaft zu tun hat. Hier bei uns arbeiten viele junge und hippe Lehrer*innen, die selbst sehr offen und versiert in den Themen der sexuellen Bildung stehen. Zusätzlich arbeiten ja auch viele Sozialarbeiter*innen an den Schulen – diese wollen zum Beispiel von uns externen Fachkräften geschult werden.“

Christiane Fischer: „Das ist bei uns tatsächlich ganz anders – in unserem ländlich geprägten Raum konnten wir uns sehr gut etablieren und die Nachfrage der Schulen und Einrichtungen ist hoch geblieben. Ich erlebe bei den Berufsanfänger*innen auch heute noch viel Unsicherheit mit dem Thema. Außerdem ist es weiterhin wichtig, dass eben für die Angebote der sexuellen Bildung eine externe Fachkraft in die Klasse kommt.“

Warum ist es sinnvoll, dass Ihr als externe Fachkräfte in die Schulen kommt?

Christiane Fischer: „Wir Fachkräfte können mit den Kindern und Jugendlichen auf anderer Augenhöhe und mit mehr Abstand als die Lehrkräfte sprechen. Es kann unangenehm sein, diese Themen mit der eigenen Lehrerin zu besprechen. Wir sprechen ja über sehr persönliche Dinge – da ist die Scheu vor den eigenen Lehrerinnen und Lehrern deutlich größer als vor uns externen Fachkräften.“

Ramona Täubert: „In unseren Veranstaltungen fragen und diskutieren die jungen Menschen viel freier. Wir bewegen uns in einem geschützten Rahmen.“

Haben sich denn in den vergangenen zwei Jahrzehnten die Fragen der jungen Menschen verändert?

Ramona Täubert: „Die Frage für die jungen Menschen ist immer die: „Bin ich richtig?“ Das war vor zwanzig Jahren schon die Frage, und diese Frage kommt auch heute noch.“

Christiane Fischer: „Genau – es sind eigentlich die gleichen Themen und Fragen geblieben: den eigenen Weg finden, sich trauen, anderen trauen; Wie spreche ich jemanden an? Wie gehe ich mit Enttäuschungen um? Das sind die Anliegen, die immer an uns herangetragen werden. Aufhänger sind heute auch mal neue Trends, zusätzlich sind die jungen Menschen auf digitalen Kanälen unterwegs – aber im Grunde genommen hat sich an ihren grundlegenden Fragen nichts geändert.“

Ramona Täubert: „Die Kinder und Jugendlichen sind – gerade auch aufgrund der vielfältigen digitalen Angebote wie Instagram, TikTok oder Podcasts – überhaupt nicht ungebildet, sie haben heutzutage tatsächlich sehr viel Wissen „angehäuft“. Wenn es aber um den eigenen Körper geht, hilft ihnen dieses Wissen gar nicht. Dann sind wir gefragt.“

Christiane Fischer: „Da gebe ich Dir recht. Heute suchen sich die Jugendlichen ihre Informationen über TikTok, YouTube und Influencer*innen. Die persönliche Entwicklung und die eigene Sprachfähigkeit kommen da aber zu kurz.“

Wenn die jungen Menschen dank der sozialen Medien schon so gut informiert sind –
wofür braucht es dann Euer Angebot?

Christiane Fischer: „Ich denke, dass es uns ganz besonders neben all den Informationen, Apps und Angeboten im Internet braucht. Wir diskutieren in unseren Veranstaltungen mit den Kindern und Jugendlichen viel über die eigene Haltung, über Verantwortung und den Wert des Lebens. Es ist manchmal erstaunlich, wie intensiv gerade die jungen Männer hier mitdiskutieren. Das alles können die sozialen Medien nicht in dieser Form und vor allem mit individuellen Antworten leisten. Ohne unsere Angebote fehlt auch der Raum für Reflexion und Diskussion.“

Ramona Täubert: „Der Wert liegt in der Tat im gemeinsamen Austausch. Im Internet bekommt man ja eher genau die Themen und Ansichten vorgeschlagen, die man selbst vertritt. In der Klasse oder Gruppe entstehen häufig ganz intensive, zum Teil auch heftige Diskussionen unter den Schüler*innen. Diese Bühne können wir Beraterinnen den jungen Menschen anbieten. Und egal, wie aufgeklärt und offen unsere Gesellschaft heute ist: Das Darüberreden ist doch nicht so selbstverständlich, das hat auch was mit der eigenen Scham zu tun – und dies ist für die Entwicklung auch der eigenen Haltung ganz wichtig. Es geht nicht mehr so im Fokus um das faktische Wissen, das wir anbieten – sondern um die Möglichkeit zur Diskussion, zum Austausch, auch zum Aushalten von anderen Ansichten und Meinungen. Das müssen die jungen Menschen lernen.“

Kommen in Euren aktuellen Workshops auch die Themen „Prävention vor Missbrauch“ und „Cybermobbing“ zur Sprache?

Christiane Fischer: „Alles beginnt damit, selbst ein gutes Körpergefühl zu entwickeln – und dafür legen wir in der Grundschule die Basis. Darum geht es doch: Grenzen setzen und „Nein!“ sagen können. Auf diese Basics lege ich viel Wert. Später – also in den weiterführenden Schulen und den Berufsschulen – ist der Schutzaspekt nicht immer explizit Thema, aber durch die Fragen der Jugendlichen, aber auch durch unsere Impulse, kommen wir auch auf Themen wie Achtsamkeit, Umgang mit Pornografie und Gewalt. In jedem Fall nehmen wir alle Fragen der Kinder und Jugendlichen auf – dafür nehmen wir uns immer die Zeit.“

Ramona Täubert: „Auch wir machen das häufig gar nicht so direkt zum Thema – aber bei den Methoden wie „Grenzen setzen“ oder auch der Körperarbeit und in den Gruppendiskussionen sprechen wir das an. Bei uns rufen auch schon mal Lehrkräfte an, die zum Beispiel „Cybermobbing“ in der Klasse thematisieren wollen – mitunter aus aktuellem Anlass.“

Christiane Fischer: „Wenn man die Sprachfähigkeit früh übt und die Kinder von klein auf lernen, dass man alles benennen darf, dann tun wir sehr viel gegen eine mögliche Sprachlosigkeit – und das ist ein guter Basisschutz. Wir bestärken sie darin, ihre eigenen Gefühle wahrzunehmen und darauf zu hören.“

Wie blickt Ihr auf die Entwicklungen und auch die Zukunft Eurer Arbeit?

Ramona Täubert: „Durch die sozialen Medien – gerade auch Influencer*innen – sind wir ganz neu gefordert, stelle ich häufig fest. Zum Teil müssen wir in den Veranstaltungen plötzlich gegen Meinungen oder (Vor-)Urteile Dritter argumentieren. Auf der anderen Seite verbreiten sich aber auch viele gute Informationen: Noch vor einigen Jahren hätte zum Beispiel kaum ein junges Mädchen gewusst, was eine Menstruationstasse ist. Ansonsten fehlen uns häufig die männlichen Fachkräfte – wir bieten unsere Workshops ja auch in kleineren Gruppen an. Es ist unglaublich schwierig, hier langfristiger Honorarfachkräfte zu finden. Andererseits ist die Gesellschaft mittlerweile so vielfältig und offen, dass sich die Kategorien auflösen und wir weniger in festen Gruppenzuschreibungen unterwegs sind.“

Christiane Fischer: „Im Laufe der Jahre hat sich an meinen Methoden nicht allzu viel verändert. Ich bleibe einfach immer nah an den Kindern und Jugendlichen – wir müssen auf ihre Fragen eingehen.“

Ramona Täubert: „Es geht darum, Haltung zu vermitteln – damit die jungen Menschen eine eigene Haltung entwickeln können. Wichtig ist es für uns als Fachkräfte, immer beweglich zu bleiben für die Fragen und Anliegen der jungen Menschen.“
Informationspapier: Sexualpädagogischen Angebote an Schulen und außerschulischen Einrichtungen

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