Ute Bierei ist Diplom-Sozialpädagogin und seit 2012 bei donum vitae in Berlin-Pankow als Schwangerschafts(konflikt)beraterin tätig. Sie hat eine Zusatzqualifikation zur Kinderwunschberaterin (BKiD) und schildert hier Stationen aus der Zeit des Kinderwunsches sowie der psychosozialen Beratung eines Paares.
Mai 2018: Beginn der Familienplanung Saskia (33) und Benni (35) sind seit sieben Jahren ein Paar und wünschen sich jetzt ein Kind. Nach einigen Monaten voller Erwartung auf eine Schwangerschaft ist noch immer nichts passiert. Mit jedem Einsetzen der Menstruation wird die Enttäuschung größer.
Sommer 2019: Start der Diagnostik Anfang 2019 beginnt Saskia, sich Sorgen zu machen. Sie vereinbart einen Termin bei ihrer Frauenärztin. Die Untersuchungen ergeben nichts Auffälliges. Die Ärztin rät Benni zu einer Untersuchung. Benni verspürt noch keinen akuten Druck. Der Gedanke an eine eingeschränkte Fruchtbarkeit kommt ihm nicht. Saskia und Benni streiten nun häufiger. Er zieht sich zurück. Gleichzeitig steigt ihre Sorge, Zeit zu verlieren. Saskia hat den Eindruck, dass für Benni ein Kind gar nicht mehr so wichtig ist. Sie überzeugt ihn, eine Beratungsstelle aufzusuchen.
Die Beratung kann die Paarkommunikation fördern. Sie bietet den Raum, im geschützten Rahmen individuelle Ängste, Sorgen, Wünsche und Bedürfnisse auszusprechen. So kann das Paar Verständnis für den jeweils anderen entwickeln. Gemeinsame Schritte und Ziele können besprochen werden.
Im Beratungsgespräch stellt sich heraus, dass Benni große Angst vor einer Diagnose hat und befürchtet, Saskia könnte sich von ihm trennen. Dies in der Beratung auszusprechen, hat Benni sehr erleichtert. Saskia hat Verständnis entwickelt, etwas Druck rauszunehmen und weniger zu drängen. Benni hat von Saskias Angst erfahren, er könnte an der Beziehung zweifeln und mit ihr vielleicht doch kein Kind wollen. Sie nähern sich wieder an und erneuern den beiderseitigen Wunsch nach einem gemeinsamen Kind. Benni möchte sich seiner Angst stellen und kann sich nun eine Untersuchung vorstellen.
Januar 2020: Besuch beim Urologen Das Ergebnis von Bennis Untersuchung ist ein Schock: Seine Zeugungsfähigkeit ist stark eingeschränkt. Da Benni nun als der „Verursacher“ für die Kinderlosigkeit gilt, fühlt er sich schuldig. Er zweifelt und fragt sich, ob er Saskia gehen lassen soll, oder ob sie als Paar ohne Kinder glücklich werden können. Saskia und Benni vereinbaren einen weiteren Beratungstermin.
Die Diagnose Unfruchtbarkeit kann eine Krise auslösen. Trauer, Verzweiflung und Hilflosigkeit sind häufig vorherrschende Gefühle. Die Beratung bietet einen Raum für die Trauer sowie ein Gegenüber, das Verständnis zeigt und alle Gefühle aushalten kann.
Oktober 2020: Start der Behandlung Benni und Saskia machen einen Termin im Kinderwunschzentrum. Der Arzt empfiehlt aufgrund der sehr eingeschränkten Beweglichkeit von Bennis Spermien eine ICSI Behandlung. Die beiden entscheiden sich dafür. Ihre Gefühle schwanken zwischen Freude und Angst.
November 2020: Die Zeit nach dem ersten Behandlungszyklus Im ersten Zyklus klappt es nicht. Auch das Einsetzen der tiefgefrorenen befruchteten Eizellen acht Wochen später führt nicht zum Erfolg. Im Juni 2021 wird Saskia in einem neuen Zyklus schwanger. Vorsichtige Erleichterung: „Endlich wird alles gut!?“
August 2021: Fehlgeburt in der 10. Schwangerschaftswoche Die Fehlgeburt ist ein Schock. Saskia beschäftigt der Verlust sehr, sie weint viel und will darüber sprechen. Benni fühlt sich überfordert, übernimmt organisatorische Aufgaben, treibt Sport, um den Kopf freizubekommen. Saskia bleibt einige Wochen krankgeschrieben. Benni macht sich Sorgen, dass seine Frau depressiv wird. In dieser Phase suchen sie erneut das Gespräch mit der Beraterin.
Häufig treffen Paare nach einer Fehlgeburt auf Unverständnis und Hilflosigkeit in ihrem Umfeld. Auch die Partner selbst können sich oft nicht gegenseitig unterstützen, da ihre Trauer sehr unterschiedlich ausgedrückt und verarbeitet wird. Paare können in der Beratung erfahren, dass Trauer individuell ist und es kein „Richtig“ oder „Falsch“ gibt. In einer Partnerschaft kann es eine Herausforderung sein, die unterschiedlichen Arten des Trauerns zu akzeptieren – aber genau diese Akzeptanz ist entscheidend für die Bewältigung des Verlusts.
Februar 2022: Ein weiterer Versuch Saskia fühlt sich körperlich bereit für einen weiteren Versuch. Im April 2022 werden drei Eizellen gewonnen, eine befruchtete Eizelle wird eingesetzt. Doch auch diesmal bleibt der Erfolg aus.
2023: Abschied vom eigenen Kind? Saskia und Benni entscheiden sich nach weiteren Beratungsgesprächen, ein Leben ohne leibliche Kinder zu führen.
Der Abschied vom Kinderwunsch ist ein sehr emotionaler und komplexer Prozess, der für viele Menschen mit Trauer und manchmal auch Schuld verbunden ist. Es gibt keinen universellen Weg, diesen Abschied zu bewältigen. Die psychosoziale Beratung kann unterstützen, diesen schwierigen Prozess zu durchlaufen. Ein bewusstes Abschiedsritual kann helfen, den inneren Abschluss zu finden. Das kann ein symbolischer Akt sein, wie das Schreiben eines Briefes an das „ungeborene“ Kind, das Pflanzen eines Baumes oder eine stille Gedenkfeier.
Saskia und Benni konnten in der Beratung ihre Trauer anerkennen und durchleben. Sie haben gemeinsam ein Abschiedsritual entwickelt und konnten Energie freisetzen, um sich gestärkt der gemeinsamen Zukunft zuzuwenden.
Alle Namen wurden von der Redaktion geändert.
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