Das Projekt „Familienpatenschaften auf Zeit“ beim donum vitae Regionalverband Südhessen
„Ich kann mich gut an die Zeit erinnern, als meine eigenen Kinder klein waren: Ich hatte keine Familie in der Nähe und auch sonst niemanden als Unterstützung im Alltag. Es gab schon einige Momente, da hätte ich unbedingt jemanden gebraucht, damit ich zum Zahnarzt oder auch einfach mal in Ruhe duschen hätte gehen können. Mein Mann war beruflich sehr eingebunden und im Alltag nicht wirklich greifbar.“ Hilde Hofmann-Koschnick weiß sehr genau, wie sich Frauen und Familien in der ersten Zeit mit einem Neugeborenen fühlen und welchen praktischen Herausforderungen sie sich im Alltag stellen müssen. Deshalb hat sie sich bewusst für ein ehrenamtliches Engagement für junge Familien in Darmstadt entschieden. Müttern in der ersten Zeit zu Hause entlastend zur Seite stehen, sich als Spielkameradin und Ansprechpartnerin um ältere Geschwisterkinder kümmern und damit eine verlässliche Stütze für die ganze Familie sein – was ihr selbst seinerzeit fehlte, das möchte sie nun unbedingt an andere weitergeben. Die Diplom-Religionspädagogin und Heilpraktikerin ist seit zweieinhalb Jahren als ehrenamtliche Familienpatin bei donum vitae im Regionalverband Südhessen aktiv. Begeistert erzählt sie, warum dieses Engagement für sie persönlich so wichtig ist: „Ich bin mittlerweile im typischen Großmutter-Alter, habe aber leider keine Enkel. Dabei verbringe ich gerne Zeit mit Kindern und lerne viel von ihnen.“ Viele Jahre hat sich Hilde Hofmann-Koschnick um ihre pflegebedürftige Mutter gekümmert und einen Tag in der Woche für ihre Pflege und Unterstützung reserviert. Vor drei Jahren starb die Mutter. Den zusätzlichen Tag einfach in ihrem Beruf zu nutzen oder einem neuen Hobby nachzugehen, kam für Hilde Hofmann-Koschnick aber nicht infrage. Zum Glück las sie in dieser Zeit eine Zeitungsannonce von donum vitae in Darmstadt. Dort war man auf der Suche nach ehrenamtlichen Familienpatinnen. Das war die Aufgabe, nach der Hilde Hofmann-Koschnick gesucht hatte: „Der Tag in der Woche, den ich viele Jahre meiner Mutter geschenkt habe, den investiere ich jetzt für andere!“
Unterstützung, Ansprache und Entlastung für junge Familien in herausfordernden Situationen
Das Projekt „Familienpatenschaften auf Zeit“ hat man beim donum vitae Regionalverband Südhessen bereits im Jahr 2008 ins Leben gerufen. Damals kam eine junge Mutter von Drillingen völlig erschöpft und am Ende ihrer Kräfte in die Beratungsstelle. Dr. Norbert Brand, damals wie heute der Vorsitzende von donum vitae, entwickelte daraufhin mit anderen Engagierten und den Beraterinnen die Idee der Familienpatenschaften. Seitdem konnte der Verein 150 Patenschaften plus Verlängerungen vermitteln. Bis heute sind erstaunlich viele Mehrlingsfamilien begleitet worden. „Über all die Jahre hatten wir schon 56-mal Zwillinge oder Drillinge“, berichtet Gisela Schaffert. Sie ist als Koordinatorin des Projektes seit fünf Jahren die erste Ansprechpartnerin für die ehrenamtlichen Patinnen und die Familien. Mit Sachverstand und vor allem viel Herzblut führt sie jede Familie mit einer Patin zusammen und begleitet die Patenschaften im weiteren Verlauf. „Wir möchten Eltern, Alleinerziehende, Flüchtlingsfamilien oder Familien mit Mehrlingsgeburten im ersten Lebensjahr des Kindes entlasten“, beschreibt Gisela Schaffert das Ziel des Projektes. „Unsere ehrenamtlichen Familienpatinnen bieten den Familien ihre Zeit und ihre individuelle Unterstützung an. Die Art der Unterstützung ist bei jeder Familie ganz unterschiedlich und geht von der Betreuung des Babys oder eines älteren Geschwisterkindes über die Begleitung zum Kinderarzt bis zur praktischen Unterstützung bei Mehrlingen. Natürlich stehen die Patinnen auch besonders den Müttern mit ihrer Erfahrung und ihrem Rat zur Seite. Wir möchten verlässliche Hilfe und Entlastung im Alltag gewährleisten – damit es nicht zu Überforderungen kommt.“
Zeit schenken: Für einen guten Start ins Leben
Die meisten Familienpatinnen im Projekt sind im Ruhestand oder kurz davor, die eigenen Kinder bereits aus dem Haus. Wie Hilde Hofmann-Koschnick möchten sie anderen etwas von ihrer freien Zeit schenken und junge Familien bei ihrem Start in den neuen Lebensabschnitt unterstützen – ein Angebot, das sie selbst als junge Mütter leider nicht zur Verfügung hatten. Neben den Zeitungsannoncen, die Gisela Schaffert regelmäßig in Auftrag gibt, ist das Projekt auch bei der Ehrenamtsagentur gelistet. Gemeinsam mit der Leiterin der donum vitae-Beratungsstelle, Ellen Bachmann, führt Gisela Schaffert mit den potenziellen Patinnen ein Erstgespräch, in dem sie über die Motivation, ihre Erfahrungen mit Kindern, Vorlieben und Schwächen sprechen. Die Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses ist Voraussetzung für die Annahme als Familienpatin. Gisela Schaffert und Ellen Bachmann erklären die Zielsetzung und den Anspruch, der an eine Patenschaft gestellt wird. Die ehrenamtlichen Patinnen sind über den Verein versichert und erhalten auch die Fahrtkosten erstattet. Alle zwei Monate treffen sich Gisela Schaffert und Ellen Bachmann mit den Patinnen in der Beratungsstelle zu einem Qualifizierungstreffen zu unterschiedlichen Themen. „Wir bieten zum Bespiel einen Erste-Hilfe-Kurs an Babys und Kleinkindern an, arbeiten mit Fallbeispielen aus der Praxis und reflektieren die Arbeit in den Familien“, erklärt Gisela Schaffert. Auch bei Auffälligkeiten oder Problemen sind die beiden jederzeit für die Patinnen ansprechbar. „Die beiden machen das wirklich grandios! Frau Schaffert und Frau Bachmann sind die guten Seelen des Projektes. Wir erfahren viel Wertschätzung und Würdigung“, betont Hilde Hofmann-Koschnick.
Anfragen von Familien nach einer Patenschaft kommen aus unterschiedlichen Richtungen: Über die Ehrenamtsagentur oder Flyer werden die Familien auf das Angebot aufmerksam. Aber auch die Beraterinnen von der donum vitae-Beratungsstelle in Darmstadt sprechen ihre Klientinnen auf das Angebot einer Patenschaft an, wenn sie bemerken, dass sich die Familie in einer Notsituation befindet oder Mehrlinge erwartet werden. Ebenso meldet das Klinikum Darmstadt den Bedarf von Familien in schwierigen Situationen an Gisela Schaffert. „Ich nehme dann Kontakt zur Familie auf und kläre die Notwendigkeiten und Wünsche. Wir sprechen auch über die Familienzusammensetzung, Gewohnheiten, Interessen, die Abläufe im Alltag usw.“ Die Koordinatorin signalisiert den Eltern im Erstgespräch auch die Voraussetzungen: Ein Kind der Familie muss unter einem Jahr alt sein und es muss eine Notlage vorliegen (Mehrlinge, alleinerziehend, Krankheit oder Beeinträchtigung, kinderreich, keine Verwandten in der Nähe). „Im Fokus steht die Entlastung vor allem der Mutter – es geht nicht um eine Dienstleistung oder einen Hol-und-Bring-Service des Geschwisterkindes“, erklärt Gisela Schaffert. Auch bei Bedarfen, die über das Angebot der Familienpatenschaft hinausgehen, kümmert sich die Koordinatorin gemeinsam mit den Kolleginnen um die Vermittlung anderer Hilfen, zum Beispiel in die Beratungsstelle oder zu den Frühen Hilfen.
Zentrale Aufgabe von Gisela Schaffert ist es, für jede Familie eine passende Patin zu finden. Hier kommt es auf viel Einfühlungsvermögen an – es soll ja auch persönlich für beide Seiten passen. Beim ersten Kennenlernen führt Frau Schaffert die Patin und die Familie zusammen. Wenn sich beide Seiten für eine Patenschaft entscheiden, stellt Gisela Schaffert eine Vereinbarung aus über eine Familienpatenschaft, die zunächst auf drei Monate befristet ist. „Diese Zeit hat sich als optimal erwiesen, um sich aneinander zu gewöhnen und eine Vertrauensbasis zu schaffen“, berichtet Gisela Schaffert. „Besteht nach Ablauf der drei Monate der beiderseitige Wunsch, die Patenschaft zu verlängern, wird wieder im 3-Monats-Rhythmus eine neue Vereinbarung ausgestellt. Spätestens nach einem Jahr läuft die Patenschaft aus. Meist ist das auch die Zeit, zu der das jüngste Kind in die Krippe kommt und die Mutter ihre Berufstätigkeit wieder aufnimmt.“ Zu diesem Zeitpunkt findet auch ein abschließendes Gespräch mit Gisela Schaffert statt. Die Familie und auch die Patin füllen zusätzlich jeweils einen anonymen Evaluationsbogen aus. „Damit möchten wir die Qualität der Patenschaften regelmäßig prüfen und uns stetig verbessern“, betont Gisela Schaffert.
donum vitae vermittelt Patenschaften in Darmstadt, dem Landkreis Darmstadt-Dieburg sowie in der Region Stockstadt/Rhein, Gernsheim, Biebesheim. Das Projekt „Familienpatenschaften auf Zeit“ ist nicht Teil des gesetzlichen Auftrages einer Schwangerschafts(konflikt)beratungsstelle, sondern an der Schnittstelle zu den Frühen Hilfen angesiedelt und wird somit nicht vom Land Hessen, sondern ausschließlich aus Spendenmitteln finanziert. „Jedes Jahr bewerben wir uns mit den Familienpatenschaften bei verschiedenen Stellen um Stiftungsgelder oder Großspenden“, berichtet Gisela Schaffert. „Wir würden uns sehr über weitere und vielleicht auch längerfristige Spenden freuen, damit wir das Projekt auch weiterhin durchführen können. Die Familien sind unglaublich dankbar für die wertvolle Unterstützung ihrer Patinnen.“ Im Gespräch mit Hilde Hofmann-Koschnick klingt aber auch immer wieder an, wie bereichernd für sie als ehrenamtliche Patin der Kontakt zu den Familien ist.
„Ich habe schon so viele schöne Kinderlieder gelernt, geknetet, gebastelt – ich fühle mich selbst so bereichert durch den Kontakt mit den Familien!“
Die Familienpatenschaften sind bewusst als zeitlich begrenzte Unterstützung gedacht. Aufgrund der intensiven Zeit, die man miteinander verbringt, kann aber auch eine besondere Verbindung zwischen der Patin und der Familie entstehen. „Ein bisschen fühlt es sich schon wie Familie an, immerhin haben wir regelmäßig einmal pro Woche Zeit miteinander verbracht. Diese Verbundenheit bleibt auch über die Zeit der Patenschaft hinaus. Und mit manchen Familien entsteht tatsächlich so etwas wie eine Herzensverwandtschaft“, berichtet Hilde Hofmann-Koschnick. Mit einer Familie ist sie auch jetzt noch verbunden, auch wenn sie dort nicht mehr als Familienpatin aktiv ist. Auch für das Projekt und die Koordinatorin Gisela Schaffert gibt es gute Nachrichten: Der Enthusiasmus von Hilde Hofmann-Koschnick hat mittlerweile auch ihr persönliches Umfeld motiviert: Eine Freundin konnte sie bereits für das Engagement als Familienpatin bei donum vitae begeistern.
Text: Annika Koch, donum vitae e.V.
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